Ninette Sombart
Am Kreuzweg: Was geschieht mit dem Verstorbenen?

Die Toten starben nicht. Es starb ihr Kleid.
Ihr Leib zerfiel, es lebt ihr Geist und Wille.
Vereinigt sind sie dir zu jeder Zeit
In deiner Seele tiefer Tempelstille.

Manfred Kyber (1918)


Menschen, die Nahtod-Erlebnisse hatten, berichten, dass sie ihr Leben in großen Bildern sahen. Oft wurde ihnen dabei klar, was sie noch alles im Leben zu erledigen, welche Aufgaben sie noch zu erfüllen hatten und weswegen sie wieder ins Leben zurückkehren mussten. Das Zurückkehren wird oft als schmerzlich empfunden, da es dort so himmlisch schön war. Ähnlich können wir es uns vorstellen, wenn ein geliebter Mensch über die Schwelle des Todes geht.


Was geschieht in dem Moment des Todes, wenn der Mensch die Pforte des Todes durchschreitet?
 
Rudolf Steiner, der Gründer der Anthroposophie, der Einblick in die geistige Welt hatte, beschreibt es folgendermaßen:

Der Tod ist etwas, was am allermeisten zwei total voneinander verschiedene Seiten hat. Der Tod von hier aus, von der physischen Welt aus gesehen, hat gewiß viele trostlose Seiten, viele schmerzliche Seiten. Aber es ist wirklich so, dass man von hier aus den Tod von der einen Seite nur sieht; wenn man aber gestorben ist, sieht man ihn von der anderen. Da ist er das befriedigendste, vollkommenste Ereignis, das man überhaupt erlebt, denn er ist da lebendige Tatsache.
    
Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist und zurückblickt auf den Tod, so ist der Tod das schönste Erlebnis, das überhaupt im menschlichen Kosmos möglich ist. Denn dieses Zurückblicken in das Hineingehen in die geistige Welt durch den Tod ist zwischen Tod und neuer Geburt das allerwunderbarste, großartigste, das schönste, herrlichste Ereignis, auf das der Tote überhaupt zurückschauen kann.

Die allererste Zeit nach dem Tode verläuft ja so, dass man wie in einem großen Tableau sein eben abgelaufenes Leben vor sich hat. Man umfasst durch Tage hindurch, aber immer so, dass das Ganze da ist, gewissermaßen auf einmal sein bisheriges Leben. Man hat es wie in einem großen Panorama vor sich. Man sieht gewissermaßen das Leben in diesen Tagen von dem Gesichtspunkte des Ich aus… woran das Ich beteiligt war.  Man sieht die Sache nicht ganz objektiv, sondern man sieht all das, was Früchte für einen selber getragen hat. Man sieht sich überall im Mittelpunkt drinnen. Und das ist unendlich notwendig, denn von diesen Tagen…geht aus jene innere Stärke und Kraft, die man braucht im ganzen Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt, um nun da den Ich-Gedanken festhalten zu können.
(Aus "Schicksalsbildung und Leben nach dem Tode", Gesamtausgabe Nr. 157a, Vortrag gehalten in Berlin am 16.11.1915)

Die ersten drei Tage:

Diese Zeit des Schauens des Lebenspanoramas braucht ca. drei Tage, die schon traditionell die Zeit der Aufbahrung war. In dieser Zeit der Totenwache kann der Verstorbene in Ruhe seine Rückschau halten, und die Angehörigen haben Zeit, um einerseits Abschied zu nehmen von dem Erdenkleid des Menschen und anderseits eine neue Wahrnehmung für den Geist dieses Menschen zu entwickeln, der sich auf einmal überall befindet, da er keinen Leib mehr hat, der ihn einengt.